Presse Archiv : Die Zeit, Wien Kolumne, 3. 2007

Ein Deutscher in Österreich: Kalle Laar, 50, ist halb Este, halb Lette und lebt als Klangkünstler in Wien.

Als Musiker war ich sehr viel in der Welt unterwegs, immer auch auf der Suche nach Futter, nach interessanten Tönen und Klängen. Dabei habe ich eine merkwürdige Plattensammlung aufgebaut, mit einer Menge Sprach- und Werbe- und anderen Genrefreien platten. Man muss sich klar machen, welchen Verlust wir mit dem Verschwinden der Vinyl-Kultur hinnehmen. Bei Bildern ist das anders, jedes Bild gehört – pathetisch gesprochen – irgendwie zum Weltkulturerbe. Aber Klänge sind einfach weg.

Als Vinylkünstler trete ich unter dem Namen „djkl & The Temporary Soundmuseum“ auf, zum Beispiel in der Wiener Kunsthalle. Für einen Abend zum Thema „Politik & Militär“ habe ich eine amerikanische Schallplatte aus dem Jahr 1959 rausgesucht: Was tun, wenn die Bombe fällt? Auf diesem Dokument erzählt jemand haarklein, was passiert, wenn eine Atombombe explodiert. Wie da über das Sterben von hunderttausenden Menschen gesprochen wird, das wäre im Fernsehen heute wie damals nicht möglich. Als Zuhörer kriegt man eine Gänsehaut, auch diesem Klang kann man sich  emotional nicht entziehen.

Wien ist gut zu mir. Ursprünglich bin ich als artist-in-residence ins Museumsquartier gekommen. Seither treffe ich mit meiner Arbeit hier auf eine Offenheit, die in München kaum vorstellbar ist. Über die „Jeunesse“ biete ich an Schulen workshops an, die Jugendlichen ein Gefühl für ihre Ohren vermitteln sollen. Da entstehen Hörspiele wie „Das klingende Klassenzimmer“. In München wäre das undenkbar, es gibt dort keine solche Organisation, die auf diese Weise arbeitet.

Aufgewachsen bin ich in einer funktionierenden Multikulti-Gesellschaft, in München-Ludwigsfeld. Dieser abgelegenste Stadtteil wurde als Pilotsiedlung für heimatlose Ausländer aus dem Osten angelegt. Ich bin halb Este,  halb Lette, ein klassisches Flüchtlingskind also. Wir haben auf einem betonierten Rollschuhfeld gespielt, das einst Fundament einer Küche des KZ-Außenlager Dachau war. Jedes Kind war mindestens zweisprachig. Wir waren Mongolen, Kalmüken, Tschechen oder sonst was. Aber wir teilten ein Schicksal.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer

www.soundmuseum.com